Konstantin Wecker Lieber Herr Tsipras,

Sie sind heute Nachmittag in Berlin und bei unserer lächelnden Kanzlerin. Ich möchte Sie erst einmal – auch im Namen vieler KollegInnen – herzlich willkommen heissen. Sie sind der Ministerpräsident des Landes, das die Demokratie erfunden hat.
Ihre Partei Syriza ist demokratisch gewählt worden. Ich betone diese Selbstverständlichkeiten deshab so, weil man das Gefühl bekommen könnte, Sie seien der Chef einer betrügerischen oder gar terroristischen Vereinigung – wenn man so liest, was über Sie, über Giannis Varoufakis und über Ihre „faulen“ MitbürgerInnen alles in überheblicher und manipulativen Weise geschrieben und hingerotzt wurde in den letzten Wochen.
KünstlerInnen sind heute, soviel ich weiß, nicht eingeladen in Berlin. Ist ja auch kein Wunder. Unserer Kanzlerin geht es ausschließlich um ein Europa des Geldes und nicht der Kultur und der Künste. Was Sie vermutlich so sehen wie ich, und auch unser gemeinsamer Freund Mikis Theodorakis dürft das kaum anders einschätzen. Da zählen auch Merkels demonstrativen Besuche der Bayreuther Wagner-Festspiele nichts. 


“Ich stehe ziemlich allein in der EU. Aber das ist mir egal, ich habe recht”, wird die deutsche Kanzlerin im aktuellen SPIEGEL zitiert. Tja, sehen Sie, Frau Kanzlerin, so kann man sich täuschen. Sie stehen ziemlich allein, und Sie haben auch nicht Recht.


Denn wenn Europa nicht mehr ist als ein wild gewordener, geldgieriger Haufen von Banken und Konzernen, nicht mehr als eine Rechenaufgabe, dann hat Europa keine Chance mehr. 


„Merkel, mit ihr Wolfgang Schäuble und die traditionell xenophobe CSU, flankiert von der „Bild“-Zeitung…. reduzieren damit die Europäische Union auf eine Ansammlung ökonomischer Kennziffern“, schreibt Stefan Kuzmany sehr richtig.
Lieber Herr Tsipras, ich mag Griechenland.Und Sie sind mir sympathisch. Schön, dass Sie heute in Berlin sind. Mischen Sie Europa auf mit dem frischen Wind, der dank Ihrer Person, Ihrer Partei und Ihrer WählerInnen nunmehr über unseren Kontinent weht. Zeigen Sie uns, dass die europäische Idee etwas anderes bedeutet, als ausschließlich auf seinen Geldbeutel zu glotzen.
Etwas anderes als eine eine ausschließlich profitfixierte Bad Bank.


Und lassen Sie sich bitte nicht einschüchtern.
Kalimera – vielleicht kann Ihnen ein Sympathisant aus dem Bundestag ja meine Grüße heute übermitteln…


Und – dass wir es ja nicht vergessen: Mit Schweigen, juristischen Tricks und Verzögerung hat sich Deutschland jahrzehntelang vor der Leistung notwendiger Reparationszahlungen und der Rückzahlung der Zwangsanleihe gedrückt. Völlig zu Recht verlangt die aktuelle griechische Regierung, dass Deutschland sich nicht nur verbal zur Verantwortung für die Untaten des Nazismus in Griechenland bekennt. Und viele Menschen in Deutschland sind einig mit mir: auf diese schäbige Weise Opfer der Naziverbrechen von einst zu BittstellerInnen heute zu machen, das ist für Griechenland und dessen BürgerInnen zutiefst entwürdigend und von Seiten der deutschen Politik aus zutiefst würdelos.
Viele Deutsche sind deswegen heute ganz auf Ihrer Seite! Und seien Sie versichert: das gilt nicht nur für den heutigen Tag!

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